1 Die Kälte geht

2023 war das wärmste Jahr der Wiener Messgeschichte, seit Beginn der Aufzeichnungen 1775. Wiewohl Klimaveränderungen in den letzten Jahrhunderten durchaus üblich waren, steigen die Temperaturen seit Ende des 19. Jahrhunderts stetig. Zunächst zaghaft, seit 1990 jedoch rasch und immer rekordverdächtig. Die Aufzeichnungen der GeoSphere Austria (früher Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, ZAMG) zeigen, dass die Durchschnittstemperatur in Wien seit den 1970er-Jahren um knapp drei Grad Celsius gestiegen ist.

Die wärmsten Jahre seit Beginn der Messgeschichte traten alle nach 2000 auf. Die Anzahl der Eistage, also jener Tage, an denen die Temperatur im Minusbereich bleibt, hat sich halbiert. Dafür gibt es heute mindestens 15 Sommertage pro Jahr dazu. Schnee und Eis wird es in Wien auch in Zukunft geben, aber viel weniger und seltener. Für die Rasanz, mit der die Kälte seit der industriellen Revolution schwindet, sind wir Menschen mitverantwortlich.

Wer braucht die Kälte?

Menschen in der Stadt lieben Bäume. Sie kühlen, spenden Schatten, schützen vor Wind, speichern Wasser und CO2. Sie bieten anderen Pflanzen und Tieren Lebensraum – und sie wirken beruhigend auf Menschen. Im internationalen Vergleich wachsen in Wien viele Bäume, sehr unterschiedlich auf die Bezirke verteilt, rund 500.000 Stück in Parkanlagen und Straßen. Jährlich werden etwa 4.500 neue Bäume gepflanzt.

Ein Stadtbaum kann im Park bis zu 300 Jahre alt werden. An Straßen ist die Lebenszeit wesentlich kürzer. Mildere Winter und viel längere Hitzeperioden, Wetterextreme wie Trockenheit und Starkregen, Bodenverdichtung, Hundeurin, Winterdienst rauben der Stadtbepflanzung Energie. Die Bäume treiben immer früher aus, sie werden leichter krank. Eine Neupflanzung mit Spitzahorn wie vor 25 Jahren wäre bereits jetzt nicht mehr überlebensfähig. Die rasche klimatische Veränderung zwingt dazu, auf andere, resistentere Baumarten auszuweichen, die in Wien bisher nicht verwendet wurden.

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